Thomas Bierling
Komponist

Man bemerkt sofort, wenn man einen gewitzten, kreativen und vom Leben begeisterten Menschen vor sich hat. Das Gespräch fließt, die Gedanken tauschen sich quasi von alleine aus und nebenher genießt man die lukullischen Errungenschaften der modernen Zivilisation. Thomas Bierling ist so ein Mensch.

Der waschechte Karlsruher wird 1968 in der Fächerstadt geboren, in der er bis zum achten Lebensjahr in der Nordweststadt seine frühe Kindheit verbringt. Dann zieht es ihn mit seinen Eltern auf die Pfälzer Seite des Rheins nach Kandel, hier baut das Einzelkind in Wörth auch sein Abitur. Die Frage nach der Zukunft beantwortet der von den zwei Antipoden der Naturwissenschaften und der Musik Beseelte zunächst mit ersterem und beginnt an der Technischen Hochschule (TH) Karlsruhe das Studium der Physik. Die augenzwinkernde Bierling´sche Aussage, dass Physik "wie eine Ente" sei, "laufen, schwimmen, fliegen, aber nichts richtig", lässt früh erkennen, durch welche emotionalen Kanäle Bierlings Herzblut wirklich fließt.

Zwar verpflichtet sich der Pianist nach dem Diplom 1994 zunächst unter anderem als Technischer Redakteur, Unternehmens- und SAP-Berater, doch als zum neuen Jahrtausend der schon lange schwelende Gedanke, die "Musik zum Hauptstandbein zu machen", zum Entschluss reift, macht sich der Jazz-Fan 2004 selbstständig, um die brotbringende Profession und die geliebte Muse zeitlich und pekuniär noch besser unter einen Hut zu kriegen. Just zu dieser Zeit verlangt´s den Kabarettisten Die Spiegelfechter nach einem Pianisten, und die Zusammenarbeit funktioniert gleich derart gut, dass der sich auch als "politischer Mensch" begreifende Bierling die Durlacher mittlerweile in der vierten Spielzeit musikalisch und kreativ begleitet.

Das im Zuge der (bekanntermaßen gescheiterten) Karlsruher Kulturhauptstadtbewerbung gemeinsam mit der Sängerin Eva Weis und Landesjazzpreisträger Peter Lehel initiierte Projekt "Recht harmonisch - Das vertonte Grundgesetz" dient als Beispiel und Indikator für den auch grenzgängerischen und freigeistigen Musiker und Menschen Thomas Bierling: Das ambitionierte Werk verschafft dem Flügel-Fan auch national jene Aufmerksamkeit, welche die Künstler am Abend der Uraufführung anlässlich der "Langen Nacht des Rechts" durch das gespannte Publikum erfahren.

Die positive Resonanz bekräftigt den Idealisten Bierling in seinem Glauben an gesellschaftspolitische Aussagen und dem Gefühl, auch in dieser Größenordnung etwas geschafft und bewegt zu haben und prinzipiell zu können. So kommt das Werk unter anderem auch vor Häftlingen im Gefängnis Stuttgart-Stammheim zur Aufführung, und die Idee eines Remixes des Projekts beweist, dass der als vielschichtig und -interessierte zu charakterisierende Walzbachtaler gewillt ist, seine Ziele, "'schwierige' Musik zum Erfolg zu führen" und als Künstler "Wirkung zu erzielen", mit Nachdruck erfolgt.

Ungeachtet der steten Konzentration auf beide angesprochenen Lebensbereiche würde Bierling "sofort nur noch im Bereich der Kultur" produktiv werden, sollte sich in naher oder mittelfristiger Zukunft die Möglichkeit eröffnen, seine Leidenschaft für Musik so zu nutzen, davon leben zu können. Die Begeisterung, welche dabei in Bierlings Worten mitschwingt, macht final deutlich, dass Ideen wie ein eigenes Label oder die Realisierung eines "Un-American Songbook" nicht fiktiv sind, sondern in der kreativen, stilvollen und genussreichen Welt des Thomas Bierling nur ihren (zeitlichen) Platz suchen, um das musikalische Licht dieser Welt zu erblicken. (tfr)

Beschreiben Sie sich mit drei Worten:
Äußerlich ruhig und nachdenklich, innerlich aufgewühlt.

Was ist Ihre größte Stärke?
Wenn es eilig ist, schnell zu guten Ergebnissen zu kommen.

Was ist Ihre größte Schwäche?
Wenn es nicht eilig ist, die Dinge vor mir herzuschieben und mich zu verzetteln.

Was war als Kind oder Jugendlicher Ihr Traumberuf? Haben Sie damals jemals daran gedacht, das zu werden, was Sie heute sind?
Einen "Traumberuf" hatte ich eigentlich nicht, es gab und gibt zu viele Dinge, die mich interessieren. Das Bedürfnis zu komponieren hat sich erst später entwickelt, damals konnte ich mir noch nicht vorstellen, davon und dafür zu leben. Aber inzwischen ist es in greifbare Nähe gerückt.

Was würden Sie im Leben gerne noch erreichen?
Einen Welthit zu komponieren, der Teil des kollektiven Unterbewusstseins wird und den alle Menschen kennen - auch die, die ihn nicht mögen.

Was nervt Ihre/n Partner/in am meisten an Ihnen?
keine Antwort

Auf welchen Gegenstand möchten Sie im Leben nicht verzichten?
Auf meinen Flügel, denn ohne ihn könnte ich nicht arbeiten.

Wen würden Sie gerne auf den Mond schießen?
Mich selbst, aber nur mit Rückfahrkarte.

Welcher Mensch beeindruckt Sie?
Mozart, denn es ist unfassbar, in welch kurzer Zeit er sein übermenschliches Werk geschaffen hat.

Welche Musik (Interpret und Titel) und welcher Film haben Sie am meisten beeindruckt?
Da kann ich mich nicht festlegen. Es gibt so viel gute Musik und so viele Filme, und meine Auffassung hat sich im Laufe der Zeit immer wieder gewandelt und wird dies auch weiter tun.

Welches Buch haben Sie als letztes gelesen?
"Die Zauberflöte" von Jan Assmann.

Sie werden als Tier geboren. Als welches?
Als Eintagsfliege. Dann kann ich relativ schnell und vielleicht sogar als Mensch wiedergeboren werden.

Sie tauschen einen Tag mit einer Person des anderen Geschlechts - wer wäre das?
Mit Angela Merkel. Nicht wegen des anderen Geschlechts, sondern damit ich endlich einmal hinter die Kulissen der Politik schauen kann.

Was finden Sie an Karlsruhe reizvoll?
Die Größe in der Kleinheit. Oder die Kleinheit im Großen?

Was würden Sie an Karlsruhe ändern, wenn Sie Oberbürgermeister/in wären?
Den Paradiesvögeln größeren Raum geben.

Welches sind die markantesten Karlsruher / deutschen Köpfe?
Leider gibt es viel zu wenige davon. Wir leben in einer Zeit der geistigen Stagnation oder gar der Rückentwicklung, deshalb gibt es weder auf politischem, gesellschaftlichem oder kulturellem Gebiet wirkliche Visionäre. Mit einer Ausnahme, die sowohl für Karlsruhe als auch für Deutschland als Ganzes zutrifft: Götz W. Werner, der die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens als Lösung unseres gesellschaftlichen und ökonomischen gordischen Knotens vertritt.

Sie leben in einem anderen Land. Welcher Grund könnte Sie dazu bewegen beziehungsweise davon abhalten, nach Deutschland einzuwandern?
Abhalten würde mich die Tatsache, dass in den Köpfen der meisten Deutschen das "Deutsch-Sein" immer noch über die Abstammung definiert wird.

Es geht um das Glück der Republik. Welche Person, Gruppierung oder Idee sollte mehr Einfluss gewinnen?
Wie bereits erwähnt: Götz W. Werner und die Theorie des bedingungslosen Grundeinkommens ("Bürgergeld"). Hier hat endlich jemand den Mut, die selbstauferlegten Denk-Grenzen der Gesellschaft zu überschreiten, denn innerhalb des derzeitigen Systems ist die Lösung sicherlich nicht zu finden.

Wie und wo möchten Sie sterben?
Ganz klischeehaft: In den Armen einer Frau, die mich liebt.

Kommen Sie in den Himmel oder in die Hölle?
Ich bezweifle stark, dass diese menschlichen Projektionen in dieser Form existieren. Aber man hört oft, dass sich die besseren Musiker eher in der Hölle rumtreiben (müssen), daher wäre das vielleicht inspirierender als nur diese ewigen Hosianna-Gesänge.